Am 28. Januar 2018 hat das Bundesgericht ein erstaunliches Urteil zur Verlustverrechnung bei der Grundstückgewinnsteuer im Kanton Basel-Landschaft gefällt (BGer 9C_230/2017). Unter dieser Rechtsprechung droht juristischen Personen eine ungeahnte Minderung noch nicht verrechneter Vorjahresverluste, sobald sie einen Teil davon mit Gewinnen aus dem Verkauf von Liegenschaften verrechnen und bei Ermittlung des Grundstückgewinns der Wert vor 20 Jahren zur Anwendung gelangt. Ob sie sich diesen Folgen entziehen können, wenn sie auf die Verlustverrechnung beim Grundstückgewinn verzichten, ist offen.
Worum ging es?
Der Kanton BL (monistisches System) störte sich daran, dass bei den direkten Steuern die Liegenschafts-Rohgewinne (Verkaufspreis – Buchwert) von der Besteuerung ausgeklammert werden, während die Grundstückgewinnsteuer u.U. deutlich weniger Substrat erfasst. Dies kann dann der Fall sein, wenn bei der Grundstückgewinnsteuer zufolge langer Besitzesdauer anstelle der effektiven Gestehungskosten (Kaufpreis/Erstellungswert plus wertvermehrende Aufwendungen) ein Hilfswert (im Kanton BL: Wert vor 20 Jahren) zur Anwendung gelangt.
Die für den Kanton BL ermittelten historischen Werte sind (mindestens aktuell) hoch – nach Ansicht des Kantons zu hoch. Wo das operative Ergebnis einer juristischen Person von den direkten Steuern in die Grundstückgewinnbesteuerung Eingang findet (im Kanton BL sind, wie mittlerweile in den meisten Kantonen, operative Verluste und Vorjahresverluste vom steuerbaren Grundstückgewinn abziehbar), hat er nun eingegriffen und vor Bundesgericht Recht erhalten:
Zwar konnte die steuerpflichtige Gesellschaft den Betriebsverlust (handelsrechtliches Ergebnis – Rohgewinne Liegenschaften) und ebenso betriebliche Vorjahresverluste von der Grundstückgewinnsteuer abziehen. Den nach dieser Verlustverrechnung verbleibenden Verlustüberhang liess die Steuerverwaltung aber im Folgejahr nicht mehr zur Verrechnung mit den direkten Steuern zu.
Sie argumentierte, der Verlustüberhang sei künstlich; er entstehe allein aus der Diskrepanz, dass bei den direkten Steuern mehr (der Rohgewinn) vom Steuersubstrat ausgenommen werde als bei der Grundstückgewinnsteuer effektiv zur Besteuerung gelange (Wert vor 20 Jahren + Anlagekosten). Dies wurde vom Bundesgericht geschützt.
Prima vista…
Die Überlegungen der Steuerverwaltung mögen auf den ersten Blick etwas für sich haben: In der Tat geht dem Fiskus etwas verloren, wenn bei den direkten Steuern mehr (der höhere Rohgewinn) aus der Bemessungsgrundlage ausgeklammert wird als bei der Grundstückgewinnsteuer zur Besteuerung gelangt (Verkaufspreis minus Wert vor 20 Jahren, minus wertvermehrende Investitionen, minus Handänderungssteuern und minus Kosten).
Doch bereits beim zweiten Blick muss man sich kritische Fragen stellen:
- Ist diese Inkongruenz zwischen Rohgewinn und Grundstückgewinn nicht gesetzgeberisch gewollt und daher zu akzeptieren?
- Wie wäre es, wenn der Hilfswert bei der Grundstückgewinnsteuer in anderen Jahren zu tief ausfiele? Könnte der Steuerpflichtige dann verlangen, dass bei den direkten Steuern mehr als der Rohgewinn von der Bemessungsgrundlage ausgeklammert würde? Wohl kaum! Mit Sicherheit würden die Gerichte sich auf darauf berufen, dass Hilfsgrössen und schematische Bemessungen im Einzelfall zu Ungerechtigkeiten führen können, die hinzunehmen sind. Auch ist daran zu erinnern, dass während vieler Jahre bei der Grundstückgewinnsteuer eine systematische Überbesteuerung stattfand, weil operative Verluste nicht gegen Grundstückgewinne abgezogen werden durften.
Mein liebes Bundesgericht… !!
Mag man noch einen dritten Blick investieren und schaut sich die konkreten Zahlen an (vgl. Tabelle am Ende des Blogs), so kann man für die Sichtweise der Steuerverwaltung auch mit viel Goodwill kein Verständnis mehr aufbringen – und auch nicht für das Bundesgericht, das die Steuerverwaltung geschützt hat:
- Bei den direkten Steuern wurde ein Rohgewinn Liegenschaften in der Höhe von CHF 7.2 Mio. von der Bemessungsgrundlage ausgeklammert (bei einem Verkaufspreis für die Liegenschaften von 12 Mio. müssen also die Gestehungskosten CHF 4.8 Mio. betragen haben. Allfällige wiedereingebrachte Abschreibungen müssen in diesem Wert bereits berücksichtigt sein, denn sie werden ja bei den direkten Steuern erfasst).
- Bei der Grundstückgewinnsteuer betrug der Wert vor 20 Jahren CHF 6.4 Mio., hinzu kamen wertvermehrende Aufwendungen von CHF 3.3 Mio., was zusammen CHF 9.7 Mio. ergibt. Nach Abzug der Handänderungssteuer (0.15 Mio.) gelangten noch CHF 2.15 Mio. zur Besteuerung. Diesen stand ein Verlust (inkl. Vorjahresverluste) von CHF 4.59 gegenüber, was dazu führte, dass keine Grundstückgewinnsteuer anfiel. Soweit, so gut.
Der Verlustüberhang von CHF 4.59 Mio. – 2.15 Mio. = 2.44 Mio. war nun aber Stein des Anstosses. Diesen Verlust liess die Steuerverwaltung im Folgejahr nicht zur Verrechnung bei den direkten Steuern zu. Wie gesagt, argumentierte sie, der Verlust sei rein “künstlich”. Aber stimmt das wirklich?
Dem Sachverhalt ist zu entnehmen, dass in den bei der Grundstückgewinnsteuer zur Verrechnung gebrachten Verlusten von total 4.59 Mio. Vorjahresverluste von 3’758’615 enthalten waren. Somit können insgesamt nur (4.59-3.75 =) 0.84 Mio. Verluste aus dem laufenden Jahr stammen. Wenn also überhaupt ein Verlust “künstlich”, d.h. durch die zu hohen Hilfswerte (Wert vor 20 Jahren) entstanden sein kann, dann maximal diese -0.84 Mio. Alle anderen Verluste hatten beim Verkauf der Liegenschaften schon bestanden.
Überlegt man sich die Sache weiter, so wird klar, dass der Verlust von 0.84 Mio. dem betrieblichen Ergebnis im Jahr des Liegenschaftsverkaufs entspricht. Erst durch den Verkauf der Liegenschaft und den dabei erzielten Rohgewinn wurde das Jahresergebnis von -0.84 Mio. +7.2 Mio. in +6.38 Mio. verwandelt. Es geht also nicht um einen “künstlichen” Verlust, den die steuerpflichtige Gesellschaft hätte zur Verrechnung bringen wollen, sondern um einen “künstlichen” Gewinn, den die Steuerverwaltung besteuern will. Schliesslich wurden der Gesellschaft Verluste aus der Zeit vor den Liegenschaftsverkäufen in Höhe von CHF 2.54 Mio. nicht mehr zur weiteren Verrechnung zugelassen.
Die Rechtsprechung zielt darauf ab, die Differenz zwischen dem (höheren) Rohgewinn und dem tieferen Grundstückgewinn durch “Wegschmelzen” der Vorjahresverluste zu besteuern, und dies ohne gesetzliche Grundlage!
Zur fehlenden gesetzlichen Grundlage kommt hinzu, dass diesem Mechanismus ein aleatorisches Element innewohnt: Soweit ersichtlich, soll diese “Korrektur” nämlich nur erfolgen, wo verrechenbare Verluste (inkl. Vorjahresverluste) vorhanden sind. Doch was haben Verluste mit der systembedingten Wertdifferenz zwischen Rohgewinn und Grundstückgewinn (resp. den zu tiefen Werten vor 20 Jahren) zu tun? Zweifellos gar nichts! Interessanterweise hat sich das Bundesgericht auch nicht dazu geäussert, in welchem Umfang Vorjahresverluste nach dieser Praxis “weggeschmolzen” werden sollen. Es ist zu vermuten (befürchten), dass dies bis maximal zur Differenz zwischen Rohgewinn und Grundstückgewinn (aber wohl vor Abzug von Handänderungssteuern und Kosten) der Fall ist.
Schliesslich muss man sich zwangsläufig die Frage stellen, ob sich Gesellschaften dem Verlust ihrer verrechenbaren Vorjahresverluste dadurch entziehen können, dass sie auf die Anrechnung operativer Verluste an die Grundstückgewinnsteuer verzichten. Gerade bei langer Besitzesdauer (wo der Wert vor 20 Jahren ja erst zur Anwendung gelangt) ist die Steuerbelastung bei der Grundstückgewinnsteuer gar nicht mehr so hoch; im vorliegenden Fall hätte sie (bei 20 Jahren Haltedauer) noch rund 0.5 Mio. betragen. Um 0.5 Mio. Grundstückgewinnsteuern einzusparen, hat die Gesellschaft nun Vorjahresverluste (ohne Verlust aktuelles Jahr) von rund 3.7 Mio. verloren. So betrachtet, hätte der Gesetzgeber der Gesellschaft Gutes getan, hätte er die Anrechnung operativer Verluste an die Grundstückgewinnsteuer gar nicht erst in das Gesetz aufgenommen!